Die Commedia dell’arte ist eine der prägendsten und faszinierendsten Theaterformen der europäischen Kulturgeschichte. Sie hat das Bild des Theaters seit der Renaissance maßgeblich beeinflusst und berühmte Archetypen geschaffen, die bis heute in Literatur, Film und Bühne nachwirken. Hinter Masken, improvisierter Komik und gesellschaftskritischen Inhalten verbergen sich Figuren voller Sehnsucht, Humor, Tragik und Lebensklugheit. In diesem Beitrag wird die Geschichte der Commedia dell’arte umfassend beleuchtet, ihre Charaktertypen analysiert und ihre Bedeutung bis in die Gegenwart verständlich und emotional aufbereitet.
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Bertolt Brechts „episches Theater“: Wie er das Publikum zum Nachdenken zwang
Was ist die Commedia dell’arte?
Die Commedia dell’arte – wörtlich die „Komödie der Künstler“ – entstand im 16. Jahrhundert in Norditalien. Es handelt sich um eine Theaterform, die durch improvisierte Dialoge, körperbetonte Komik sowie ein Ensemble farbiger, wiedererkennbarer Figuren (Masken) geprägt wurde. Ursprünglich wurde sie auf Marktplätzen und in offenen Straßen aufgeführt, mit einfachen Kulissen und einem Minimum an Requisite. Später fand die Commedia dell’arte auch Einzug in die Hofgesellschaften ganz Europas und prägte die darstellenden Künste nachhaltig.
Die zentrale Besonderheit liegt in der Verwendung von Stockcharakteren – sogenannten Typen –, die festgelegte Eigenschaften, Gestik, Sprache und Masken besitzen. Anders als beim literarischen Theater wurden die Handlungen anhand eines groben Szenariums entwickelt und nach jedem Auftritt den aktuellen Begebenheiten und dem Publikum angepasst. Das erlaubte ungezügelten Witz ebenso wie künstlerische und gesellschaftskritische Freiheit.
Historische Entwicklung und Einfluss
Die Ursprünge
Die ersten dokumentierten Aufführungen fanden bereits Mitte des 16. Jahrhunderts in Städten wie Padua und Venedig statt. Schnell entwickelten sich professionelle Ensembles, die europaweit Berühmtheit erlangten. Bekannte Truppen wie die „Gelosi“ oder die „Confidenti“ reisten von Stadt zu Stadt und populärisierten die Commedia überall, wo sie gastierten.
Gesellschaftliche Bedeutung
Die Commedia dell’arte war revolutionär: Sie machte das Theater zu einem Beruf und kämpfte für künstlerische Autonomie. Ihre Stücke erlaubten subtile Sozialkritik durch Humor, Parodie und die Bezugnahme auf aktuelle Ereignisse – etwas, das im höfischen Theater oft nicht möglich war. Die Wandlungsfähigkeit dieser Theaterform spiegelt sich im Umstand wider, dass die Charaktertypen immer wieder neu interpretiert und dem Zeitgeist angepasst wurden, ohne ihren archetypischen Kern zu verlieren.
Verbreitung und Nachwirkung
Die Commedia dell’arte erlangte insbesondere in Frankreich, Spanien und England Popularität und beeinflusste die klassische Literatur und das europäische Theater maßgeblich – von Molières Stücken über Shakespeares Komödien bis zum modernen Slapstick. Auch die visuelle Kunst, etwa bei Malern wie Antoine Watteau, zeigte oft Szenen der Commedia oder deren Figuren in allegorischer Form.
Die Struktur der Commedia dell’arte
Szenario und Improvisation
Ein typisches Stück besteht aus dem „canovaccio“, einer Art Szenenfolge, in der nur grob die Handlungsskizze festgelegt ist. Schauspieler improvisieren und nutzen sogenannte „Lazzi“ – einstudierte Slapstick- und Späßeinlagen –, die situationsabhängig eingefügt werden. Durch diese offene Form werden die Vorstellungen stets lebendig und unmittelbar.
Stockcharaktere – das Herzstück
Die Figuren der Commedia dell’arte werden in vier Hauptgruppen unterteilt:
- Zanni (Diener und Clowns):
- Beispiel: Arlecchino (Harlekin), Brighella, Pulcinella
- Vecchi (Alte, reiche Herren – oft komische Gegenspieler):
- Beispiel: Pantalone, Il Dottore
- Innamorati (Liebende):
- Beispiel: Flavio, Isabella
- Il Capitano (Prahlhans/Krieger):
- Beispiel: Il Capitano, Scaramuccia
Die wichtigsten archetypischen Figuren
Harlekin (Arlecchino)
Der Harlekin ist vermutlich die bekannteste Figur der Commedia dell’arte. Ursprünglich ein bauernschlauer Diener (Zanni), entwickelte er sich zum Inbegriff des gewitzten Spaßmachers mit akrobatisch bewegtem Körper, einer Halbmaske mit spitzer Nase und stets hungrigem Blick. Seine bunten Flicken, später Diamantenmuster, symbolisieren einen optimistischen Überlebenskünstler, der durch Verspieltheit, Ironie und Temperament besticht. Harlekin ist ständig in Liebeswirren verstrickt, meist hinter der gewitzten Colombina her, und schafft es trotz aller Wirrungen, seinen Platz im Leben – und auf der Bühne – zu behaupten.
Kernmerkmale:
- Verkörpert die Lebensfreude, Unschuld sowie den Überlebenswillen der Unterschicht
- Beherrscht Akrobatik, Slapstick und Wortwitz
- Kostüm: Patchwork, später eng anliegend – immer mit schwarzer Maske
- Motiv: ständiges Ringen um Essen, Liebe und einen Moment des Glücks
Harlekins Mischung aus Tragik und Übermut macht ihn zu einem Universalcharakter, der die Grenzen von Stand, Moral und Gesellschaft spielerisch unterläuft.
Pantalone
Pantalone steht als Inbegriff des geizigen, älteren Kaufmanns – meist ein wohlhabender Venezianer. Sein Erscheinungsbild ist unverkennbar: Rot-schwarzes Kostüm, eine gebückte Haltung, spitze Pantoffeln und exakt getrimmter Bart. Er verkörpert Habgier, Machttrieb und eine eigene Komik, die sich aus seiner Gier, Eitelkeit und Einfalt ergibt.
Typische Charakteristika:
- Repräsentant des alten, reichen Bürgertums
- Strebt nach Kontrolle über seine Familie, besonders die Kinder (oft Teil eines Liebesplots)
- Oft Zielscheibe der Schelmenstücke, da Diener wie Harlekin ihn immer wieder überlisten
- Trotz Macht oft verletzlich und lächerlich gemacht (z.B. in amourösen Abenteuern ohne Happy End)
Pantalone ist der Klassiker für gesellschaftlichen Stillstand, den die Jugend (Innamorati) überwinden muss. Sein Archetyp lebt bis heute in der Figur des geldgierigen Patriarchen in Literatur und Popkultur weiter.
Il Dottore
Der Dottore ist der pseudogeistreiche, belehrende Akademiker aus Bologna. Mit geschwollener Sprache, wirrem Fachkauderwelsch und großer Selbstüberschätzung erscheint er als Rollenvorlage für den Komödiengelehrten weltweit.
- Kostüm: Dunkle Robe, oft bauchig mit Strohhut; Maske mit hervorgehobener Stirn und dicker Nase
- Rollenmuster: unverständliche, endlose Vorträge; parodiert medizinische oder juristische Gelehrsamkeit
- Meist Kontrahent von Pantalone, manchmal sein Freund; wird von den Zanni ausgespielt
Der Dottore ist eine köstliche Karikatur der vermeintlichen Wissenschaftselite und bereichert jede Handlung mit absurdem Wortwitz.
Il Capitano
Der Capitano ist der prahlerische Söldner mit Hang zu Selbstüberhöhung und Fremdsprachenakzenten. Er gibt sich als Held, meidet aber im Ernstfall jede echte Gefahr und wird oft entlarvt und verspottet.
- Kostüm: Uniform, Federhut, übertriebene Wappen; Maske mit langer, phallischer Nase
- Rolle: Stets mit militärischen Abenteuern prahlend – in Wirklichkeit ein Feigling
- Häufig ganz oder teilweise ausländischer Herkunft (z.B. Spanier), dient zur Parodie des internationalen Milieus
Il Capitano ist die Bühnenpersiflage toxischer Männlichkeit und militaristischen Größenwahns – eine Figur mit komischer Fallhöhe.
Die Liebenden (Innamorati)
Die Innamorati (z.B. Flavio und Isabella) sind das tragisch-komische Herz der Stücke. Jung, schön, oft weltfremd und voller Leidenschaft, stehen sie den Plänen, Zwängen und Intrigen der Alten gegenüber. Sie tragen keine Masken, wodurch sie den „ernsten“ Teil der Handlung symbolisieren und dem Publikum Identifikationsflächen bieten.
- Rollenmuster: Sehnsüchtig, idealistisch, häufig willensschwach
- Ziel ihrer Mission: Endlich mit dem geliebten Gegenüber vereint zu werden – dies gelingt nur mit Hilfe gewitzter Diener
- Stil: Gediegen, emotional, poetisch
Die Liebenden sind mit einem modernen romantischen Komödienpaar vergleichbar und stehen oft für unerfüllte Sehnsüchte und verpasste Chancen.
Colombina
Colombina verkörpert die gewitzte, meist hübsche und kluge Dienstmagd. Sie mischt sich aktiv in die Pläne der Hauptfiguren ein, hilft meist dem weiblichen Innamorata, und steht häufig im Mittelpunkt eines komischen Subplots.
- Oft maskenlos, trägt stattdessen ein hauchzartes Häubchen oder Kopftuch
- Schlau, rhetorisch geschickt, vermittelt zwischen den Liebenden und den Vätern/Obrigen
- Häufiger Gegenpart und Objekt von Harlekins Liebe
- Oftmals ein Symbol weiblicher Selbstbestimmung und Lebensklugheit
Brighella
Brighella ist klüger und berechnender als Harlekin. Er tritt als „Chef-Zanni“ auf und kennt oft das soziale Spiel bestens. Seine Ambitionen gehen oft über die bloße Intrige hinaus und machen ihn zu einem Strippenzieher der Handlung.
- Kostüm: Grün-weißes Ensemble, Fortbewegung geschmeidig
- Rolle: Diener, manchmal Wirt, Musiker oder Organisator von Betrügereien
- Charakter: zwielichtig, ambivalent, stets auf Gewinn bedacht
Pulcinella
Pulcinella stammt aus dem neapolitanischen Volksmilieu. Er ist der verschlagene, manchmal bittere oder gar zynische Diener, der zugleich Opfer und Täter ist.
- Merkmale: Gebückte Haltung, spitze Maske mit Hakennase, Stimme oft näselnd, bleibt unberechenbar
- Verkörpert: anarchisches Element, oft die unterste soziale Schicht, ist Überlebenskünstler und Zyniker in einem
Scaramuccia (Scaramouche) und weitere Figuren
Der Scaramuccia ist ein weiterer Prahler, oft als Parodie auf den Capitano. Weitere beliebte Figuren sind La Signora (verheiratete Dame, meist als kapriziöse Ehefrau von Pantalone), Pierrot/Pedrolino (der sanfte Melancholiker), Tartaglia (der stotternde Bürokrat) und viele mehr. Je nach Region und Truppe entstanden immer neue Typen, deren wandelbare Eigenschaften die Commedia dell’arte bis heute lebendig halten.
Bedeutung, Wirkung und zeitlose Relevanz
Gesellschaftskritik und künstlerische Freiheit
Die Commedia dell’arte nutzte ihre humorvollen Archetypen als subtile Waffe gegen Autoritäten, gesellschaftliche Ungleichheit und Konventionen. Ihre satirische Überzeichnung menschlicher Schwächen ermöglichte es, gesellschaftliche Missstände auf der Bühne darzustellen, ohne direkte Angriffe zu riskieren. Figuren wie Harlekin und Pantalone sind vielschichtige Allegorien auf soziale Schichten, Machtgefüge und menschliche Sehnsüchte.
Kulturelle Nachwirkung
Die archetypischen Figuren inspirieren die darstellenden Künste bis heute: Egal ob in der Oper (Mozart, Rossini), im Ballett (Strawinsky) oder im Film (Charlie Chaplin) – die Masken und Archetypen der Commedia dell’arte leben weiter. Auch Theaterformen wie das französische Vaudeville oder der englische Slapstick haben ihren Ursprung in der Commedia. In der Popkultur tauchen die Masken regelmäßig auf – als Karnevalskostüme, in Comics, bis hin zu Avataren in sozialen Medien.
Die Zeitlosigkeit der Commedia dell’arte
Die Faszination der Commedia dell’arte liegt in ihrer einzigartigen Verbindung aus Improvisationskunst, psychologischer Tiefe ihrer Charaktere und gesellschaftlicher Relevanz. Ihre archetypischen Figuren spiegeln menschliche Grundkonflikte wider, sind wandelbar und doch beständig. Wer in heutiger Zeit einen Harlekin oder einen Pantalone sieht, erkennt in ihnen Alltagsmenschen von einst und heute wieder. Der Zauber der Commedia dell’arte besteht in ihrer Fähigkeit, aus scheinbarer Narrheit neue Welten der Fantasie, des Lachens und Mitgefühls zu schaffen – ein kulturelles Erbe, das lebendig bleibt.
Quellen
- The Metropolitan Museum of Art: Commedia dell’arte
- Wikipedia: Commedia dell’arte
- Britannica: Harlequin
- Britannica: Pantaloon
- Study.com: Commedia Dell’Arte – Definition, Characters & Costumes
- Learning Through Theatre: What is Commedia dell’Arte?
- Theatrehaus: The 4 Commedia dell’arte Character Types
- Backstage: The Enduring Influence of Commedia dell’Arte Characters
- Britannica: Commedia dell’arte
- Alley Theatre: A Brief Overview of Commedia dell’Arte
