Der Tango Argentino ist mehr als nur ein Tanz – er ist ein Ausdruck von Leidenschaft, Sehnsucht und kultureller Verschmelzung, der seine Wurzeln in den pulsierenden Straßen von Buenos Aires und Montevideo hat. Entstanden Ende des 19. Jahrhunderts in den Hafenvierteln und Armenvierteln dieser Städte, erzählt der Tango eine Geschichte von Migration, sozialer Spannung und menschlicher Verbindung. Seine Ursprünge werden oft mit den Bordellen von Buenos Aires in Verbindung gebracht, doch die wahre Geschichte des Tangos ist komplexer und reicher, als diese vereinfachte Erzählung vermuten lässt. Dieser Artikel taucht tief in die Geschichte des Tango Argentino ein, beleuchtet seine kulturellen Einflüsse, seine Entwicklung und seinen weltweiten Einfluss, während er die Leser in die emotionale Welt dieses einzigartigen Tanzes entführt.
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Die Geburtsstunde des Tangos: Ein Schmelztiegel der Kulturen
Migration und soziale Dynamiken
Im späten 19. Jahrhundert war Buenos Aires ein Magnet für Einwanderer aus aller Welt. Millionen von Europäern – vor allem Italiener, Spanier, Polen, Deutsche und Franzosen – strömten in die Hafenstadt, angelockt von der Aussicht auf ein besseres Leben. Gleichzeitig lebten in der Stadt afroargentinische Gemeinschaften, Nachfahren von Sklaven, sowie einheimische Gauchos, die vom Land in die städtischen Randbezirke zogen. Diese vielfältigen Gruppen trafen in den sogenannten Arrabales, den ärmeren Vororten von Buenos Aires, aufeinander, wo sie ein raues, aber lebendiges kulturelles Umfeld schufen.
Die sozialen Bedingungen waren herausfordernd: Überbevölkerung, Arbeitslosigkeit und ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen prägten das Leben. In Buenos Aires lebten 1914 etwa 100.000 mehr Männer als Frauen, was zu sozialer Spannung und einem rauen Milieu führte. In diesem Kontext entstand der Tango als Ausdruck von Sehnsucht, Frustration und der Suche nach Nähe.
Musikalische und choreografische Wurzeln
Der Tango Argentino ist das Ergebnis einer faszinierenden Verschmelzung verschiedener Musik- und Tanztraditionen. Zu seinen wichtigsten Einflüssen gehören:
- Candombe: Dieser afroargentinische Tanz, der von den Nachfahren afrikanischer Sklaven praktiziert wurde, brachte rhythmische Elemente in den Tango ein. Seine markanten Trommelrhythmen verliehen dem Tango eine kraftvolle, erdige Basis.
- Milonga: Ursprünglich ein ländlicher Gesang der Gauchos, entwickelte sich die Milonga zu einem schnelleren, lebhafteren Tanzstil, der als Vorläufer des Tangos gilt.
- Habanera: Diese kubanisch-spanische Tanzform brachte eine sinnliche, synkopierte Rhythmik in den Tango, die seine charakteristische Melancholie unterstreicht.
- Europäische Tänze: Einflüsse wie die polnische Mazurka, die böhmische Polka und der deutsche Walzer fügten dem Tango komplexe Drehungen und harmonische Strukturen hinzu.
Das Bandoneon, ein aus Deutschland importiertes Blasinstrument, wurde zum Herzstück der Tangomusik. Seine klagenden, expressiven Töne spiegeln die emotionale Tiefe des Tanzes wider und machten es zum ikonischen Instrument des Tangos.
Der Ruf der Bordelle: Mythos und Realität
Die Verbindung des Tangos mit den Bordellen von Buenos Aires ist ein oft wiederholtes Narrativ, das jedoch einer differenzierten Betrachtung bedarf. Es stimmt, dass der Tango in den Hafenvierteln und Vergnügungslokalen der Stadt, einschließlich Bordellen, populär war. Diese Orte waren oft die einzigen, an denen Musiker ein kleines Ensemble finanzieren konnten, und sie boten einen Raum für soziale Interaktion in einer von Männern dominierten Gesellschaft. Tänze in diesen Umgebungen waren Ausdruck von Rivalität, Verführung und manchmal auch Aggression.
Allerdings wäre es zu vereinfachend, den Tango ausschließlich als „Bordelltanz“ zu bezeichnen. Er entstand in einem breiteren sozialen Kontext, in dem verschiedene Gruppen – Einwanderer, Arbeiter, Afroargentinier – ihre kulturellen Traditionen miteinander verbanden. Der Tango war ein Produkt der Arrabales, der Vororte, wo Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenkamen, nicht nur in Bordellen, sondern auch in Kneipen, Tanzsälen und auf der Straße.
Die Entwicklung des Tangos: Vom Rande zur Mitte der Gesellschaft
Die frühen Jahre (1865–1895)
Die Frühzeit des Tangos, oft als Guardia Vieja (Alte Garde) bezeichnet, erstreckt sich von etwa 1865 bis 1895. In dieser Phase war der Tango noch roh und improvisiert, geprägt von einfachen Melodien und Tänzen, die in informellen Umgebungen wie Höfen und Straßen aufgeführt wurden. Einer der ersten dokumentierten Tangos, „Dame la plata“ (1888), spiegelt den ungeschliffenen Charakter dieser Zeit wider.
Der Tango war zunächst ein Tanz der unteren Schichten und wurde von der argentinischen Oberschicht als verrucht abgelehnt. Seine Assoziation mit Prostitution und Kriminalität machte ihn in den Augen der Elite unakzeptabel. Doch genau diese Rauheit und Authentizität verliehen dem Tango seine einzigartige Energie.
Der internationale Durchbruch: Paris und die Legitimation
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm die Geschichte des Tangos eine überraschende Wendung. Argentinische Künstler und Musiker brachten den Tanz nach Paris, wo er in den 1910er Jahren einen regelrechten Boom auslöste. Die Pariser High Society war fasziniert von der Exotik und Sinnlichkeit des Tangos, und er wurde schnell in den Salons der Stadt populär. Diese internationale Anerkennung hatte einen entscheidenden Effekt: Der Tango wurde in Argentinien selbst plötzlich gesellschaftsfähig.
Die Reise des Tangos nach Europa war nicht nur ein kultureller Export, sondern auch eine Art Heimkehr. Europäische Einwanderer hatten ihre Musiktraditionen nach Argentinien gebracht, und der Tango, der aus dieser Mischung entstanden war, kehrte nun veredelt nach Europa zurück. In Buenos Aires begannen auch die mittleren und oberen Gesellschaftsschichten, den Tango anzunehmen, und neue Tanzcafés und Aufführungssäle entstanden.
Das goldene Zeitalter (1930–1940)
Die 1930er und 1940er Jahre markieren die Época de Oro, das goldene Zeitalter des Tangos. In dieser Zeit erlebte der Tanz eine Blütezeit, geprägt von großen Orchestern, virtuosen Musikern und einer enormen Popularität. Zu den zentralen Figuren dieser Ära gehören:
- Juan D’Arienzo: Bekannt als „König des Rhythmus“, brachte er einen schnellen, energiegeladenen Stil in die Tangomusik.
- Carlos Di Sarli: Sein Orchester war für seine elegante, melodische Spielweise bekannt.
- Osvaldo Pugliese: Er kombinierte traditionelle Elemente mit komplexeren Harmonien und sozialkritischen Texten.
- Aníbal Troilo: Ein meisterhafter Bandoneonist, dessen Kompositionen tief emotionale Nuancen einfingen.
Die Texte des Tangos, oft in Lunfardo – einem Dialekt der Unterwelt von Buenos Aires – verfasst, erzählten Geschichten von Liebe, Verlust und Nostalgie. Der Sänger Carlos Gardel wurde zur Ikone dieser Zeit. Mit Hits wie „El día que me quieras“ und „Mi Buenos Aires querido“ brachte er den Tango zu internationalem Ruhm, bevor er 1935 tragisch bei einem Flugzeugabsturz starb.
Der Tango als kulturelle Identität
Gesellschaftliche Anerkennung und nationale Symbolik
In den 1930er Jahren begann der Tango, eine zentrale Rolle in der argentinischen Identität zu spielen. Während die Oberschicht den Tanz zunächst ablehnte, begannen sie, ihn als Ausdruck nationaler Kultur zu akzeptieren, insbesondere nach seiner Popularität in Europa. 1996 wurde in Argentinien die Ley Nacional del Tango verabschiedet, die den Tango offiziell als Teil des kulturellen Erbes anerkannte.
Der Tango bot eine Plattform, um die multikulturelle Geschichte Argentiniens zu feiern. Seine Texte sprachen oft von der Bescheidenheit und Vielfalt der argentinischen Gesellschaft, im Gegensatz zu den von Außenstehenden geschaffenen Bildern eines elitären Landes. Der Tango wurde zu einem Symbol für die Verbindung von Schwarzem und Weißem, Einheimischem und Immigrant, Arm und Reich.
Die Rolle von Carlos Gardel
Carlos Gardel, geboren 1890 in Frankreich und aufgewachsen in Buenos Aires, ist untrennbar mit der Geschichte des Tangos verbunden. Seine charismatische Stimme und sein charmantes Auftreten machten ihn zum ersten globalen Star des Tangos. Gardel brachte den Tango durch Schallplatten, Filme und internationale Auftritte in die Welt. Sein früher Tod 1935 machte ihn zur Legende, und sein Grab in Buenos Aires ist bis heute ein Wallfahrtsort für Fans.
Die Renaissance des Tangos: Von der Diktatur zur globalen Bühne
Rückgang und Exil
In den 1950er Jahren geriet der Tango in Argentinien in eine Krise. Neue Musikrichtungen wie Rock’n’Roll und Jazz gewannen an Popularität, und der Tango verlor an Relevanz. Die Militärdiktatur der 1970er und 1980er Jahre verstärkte diesen Rückgang, da viele Künstler ins Exil gezwungen wurden. In Europa, insbesondere in Paris, Berlin und London, erlebte der Tango jedoch eine Renaissance, getragen von Exil-Argentiniern, die ihre Kultur im Ausland bewahrten.
Astor Piazzolla und der Tango Nuevo
Eine der einflussreichsten Figuren der Tangogeschichte ist Astor Piazzolla, der den Tango Nuevo entwickelte. Piazzolla, der zunächst Jazz und klassische Musik bevorzugte, revolutionierte den Tango durch die Integration von Jazz- und Klangstrukturen der europäischen Moderne. Seine Kompositionen wie „Adiós nonino“ brachen mit traditionellen Formen und polarisierten die Tangoszene. Während Puristen seine Musik als „untanzbar“ kritisierten, erweiterte Piazzolla das musikalische Spektrum des Tangos und machte ihn für ein internationales Publikum zugänglich.
Der Tango heute: Ein globales Phänomen
Seit den 1980er Jahren hat der Tango eine weltweite Wiederbelebung erlebt. Dank Shows wie Tango Argentino (1985) und der UNESCO-Anerkennung als Weltkulturerbe im Jahr 2009 hat der Tango seinen Platz in der globalen Kultur gesichert. Heute wird er in Städten wie Tokio, Helsinki, Berlin und New York getanzt. Tangotourismus ist ein florierender Wirtschaftszweig, mit etwa 100.000 Europäern, die jährlich nach Buenos Aires reisen, um den Tanz zu erlernen.
Der moderne Tango umfasst verschiedene Stile, darunter:
- Tango de Salón: Ein eleganter, improvisierter Stil, der in Tanzsälen praktiziert wird.
- Tango Milonguero: Ein enger, intimer Stil, der die emotionale Verbindung betont.
- Canyengue: Ein älterer, spielerischer Stil mit afrikanischen Einflüssen.
Der Tango als Ausdruck von Emotionen
Der Tango ist mehr als ein Tanz – er ist eine Sprache der Gefühle. Seine Bewegungen, die von subtiler Körpersprache und intensivem Augenkontakt geprägt sind, erzählen Geschichten von Liebe, Leidenschaft und Schmerz. Die enge Umarmung (abrazo) und die Improvisation machen den Tango zu einem einzigartigen Dialog zwischen zwei Tänzern, bei dem der Mann führt, aber die Frau durch ihre Bewegungen mitgestaltet.
Die Poesie der Tangotexte, oft in Lunfardo verfasst, spiegelt die Sehnsüchte und Kämpfe der Menschen wider, die den Tango geschaffen haben. Diese emotionale Tiefe fesselt Tänzer und Zuschauer gleichermaßen und macht den Tango zu einem zeitlosen Ausdruck menschlicher Erfahrung.
Der Tango Argentino ist ein kulturelles Mosaik, das aus den Träumen, Kämpfen und Leidenschaften der Menschen am Río de la Plata entstanden ist. Von den Bordellen und Hafenvierteln von Buenos Aires bis zu den großen Bühnen der Welt hat der Tango eine bemerkenswerte Reise unternommen. Er ist ein Symbol für die Kraft der kulturellen Verschmelzung und die universelle Sprache der Emotionen. Ob in einer Milonga in Buenos Aires oder einem Tanzsaal in Berlin, der Tango bleibt ein lebendiger Ausdruck von Leidenschaft und Menschlichkeit.
Quellen
- Argentine tango – Wikipedia
- Tango music – Wikipedia
- Ballroom tango – Wikipedia