Wie dehnt man sich richtig vor dem Tanzen, um Verletzungen zu vermeiden?

Tanzen verbindet künstlerischen Ausdruck mit intensivem Körpertraining. Doch gerade Tänzer*innen sind durch die hohen Bewegungsanforderungen besonders verletzungsanfällig. Die richtige Dehnroutine vor dem Tanztraining ist daher nicht nur eine Frage der Performance – sondern zentral für die Gesundheit und Langlebigkeit eines tanzenden Körpers. Viele Hobby- und Profitänzer stolpern über Mythen oder veraltete Methoden, die ihnen mehr schaden als nutzen.

Warum überhaupt dehnen? Die Bedeutung für Tänzer*innen

Der Tanzkörper in der Belastung

Der menschliche Körper nutzt beim Tanzen Bewegungsgrade, die weit über das Alltagsniveau hinausgehen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Tänzer bei Hip Flexion (>140°) und Schulter Elevation (>180°) weit höhere Anforderungen bewältigen als die Allgemeinbevölkerung. Diese extreme Beweglichkeit bringt Risiken: Muskelzerrungen, Überdehnungen und Verletzungen der Sehnen sind häufige Folgen. Nur gezieltes, korrekt ausgeführtes Dehnen schützt hier langfristig und nachhaltig.

Verletzungsprävention durch Stretching

Richtiges Dehnen sorgt für:

  • Verbesserte Durchblutung der Muskulatur: Muskeln werden elastischer und widerstandsfähiger.
  • Aktive Vorbereitung auf komplexe Bewegungsabläufe: Das Nervensystem wird auf Sprünge, Drehungen und schnelle Richtungswechsel eingestimmt.
  • Reduzierte Verletzungswahrscheinlichkeit: Studien zeigen bis zu 35% weniger Verletzungen beim Training nach dynamischem Warm-up.

Was passiert beim Dehnen? Die Wissenschaft dahinter

Dehnen beeinflusst Muskel, Sehne, Faszie und Nervensystem. Entscheidend sind dabei folgende Mechanismen:

  • Muskeltemperatur: Dynamisches Dehnen erhöht die Muskeltemperatur, verbessert die Elastizität und Reaktionsfähigkeit.
  • Neurale Aktivierung: Durch Bewegungsvorbereitung wird die Signalübertragung zwischen Gehirn und Muskeln optimiert.
  • Muskelstruktur: Regelmäßiges Dehnen kann die Muskelfasern nachhaltig verlängern und schützen.
  • Psychophysiologische Effekte: Achtsames Dehnen reduziert Stress, steigert die Eigenwahrnehmung und sorgt für mentale Fokussierung.

Die ideale Dehnroutine – Schritt-für-Schritt

1. Warm-up: Erst aufwärmen, dann dehnen

Beginne jede Einheit mit mindestens 5–10 Minuten leichter Aktivität (z.B. Joggen, Hampelmänner). Ein Aufwärmen steigert die Durchblutung, lockert die Muskulatur und macht sie bereit für die Dehnungsbelastung.

2. Dynamisches Dehnen: Beweglich werden in Bewegung

Dynamisches Dehnen ist vor dem Tanzen Pflicht. Statt statischer Positionen werden die Muskeln aktiv und kontrolliert durch ihren Bewegungsradius geführt. Beispiele:

  • Leg Swings (vor/zurück, seitlich): 10–15 x pro Bein, mobilisieren Hüfte, Hamstring und Gluteus
  • Arm Circles: 8–12 x pro Richtung, lockern Schultern und oberen Rücken
  • Hip Circles: 8–12 x pro Bein, fördern die Beweglichkeit im Hüftgelenk
  • Walking Lunges mit Twist: aktiviert Beine und Rumpf

3. Atemtechnik: Richtig Atmen beim Dehnen

Tiefe, langsame Atemzüge entspannen den Körper und steigern die Effektivität des Aufwärmens. Achtung: Niemals die Luft anhalten – dies erhöht die Muskelspannung und verhindert optimale Flexibilitätszuwächse.

4. Individualisierung: Die Routine auf den Tanzstil zuschneiden

Unterschiedliche Tanzstile erfordern verschiedene Schwerpunkte :

  • Ballet: Fokus auf external Rotation (Turnout), Fußgelenke und Rücken
  • Contemporary: Wirbelsäulenbeweglichkeit, Hüfte und Schultern
  • Jazz/Musical Theater: Ballistische Flexibilität, schnelle und breite Bewegungen

Wer individuell auf die Herausforderungen seines Tanzstils eingeht, reduziert das Verletzungsrisiko erheblich und fördert technische Fortschritte.

5. Sich Zeit nehmen: Nie hetzen oder rucken

Jeder Stretch wird ruhig und kontrolliert ausgeführt, ohne Bouncen oder Ruckbewegungen. Kurzzeitiges Verwenden (10–15 Sekunden dynamisch, kein statischer Stretch vor dem Training!) ist optimal.

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Typische Fehler beim Dehnen und wie man sie vermeidet

  • Stretching ohne Aufwärmen: Kalt gestretchte Muskeln sind verletzungsanfälliger – immer erst aufwärmen.
  • Ballistische Bewegungen: „Federndes“ Dehnen aktiviert den Dehnreflex und kann Muskelrisse verursachen.
  • Überdehnen: Schmerz ist ein Warnsignal. Dehne nur bis zum Gefühl leichter Spannung, niemals bis zum Schmerz.
  • Falsche Reihenfolge: Statisches Stretching gehört ans Ende der Einheit, nicht vor das Training.

Statisches Stretching: Sinnvoll nach dem Tanztraining

Statische Dehnung hält die Muskulatur für 30–60 Sekunden in einer ruhigen Position und fördert langfristige Flexibilität. Nach der Belastung ist die Muskulatur warm und empfänglich für Längenveränderungen. Hilfreiche statische Dehnübungen nach dem Training:

  • Hip Flexor/Lunge Stretch
  • Seated Forward Fold/Hamstring Stretch
  • Pigeon Pose
  • Calf Stretch im „Downward Dog“
  • Thoracic Spine Extension
  • Shoulder/Chest Stretch

Die Rolle von Hydration und Ernährung

Flexibilität wird nicht nur durch Dehnen, sondern auch durch ausreichend Flüssigkeit und ausgewogene Ernährung gefördert. Magnesium, Vitamin C, Omega-3 und Protein stärken Muskulatur und Gewebe. Ein gut hydrierter Körper verkraftet Bewegungsstress deutlich besser.

Spezialtipps für Tänzer*innen

  • Routine etablieren: Tägliches Dehnen (kurz und regelmäßig), statt seltener „Intensiv-Kuren“.
  • Auf Körpersignale achten: Plateaus über sechs Wochen, Schmerzen oder Einschränkungen sollten von Profis beurteilt werden.
  • Progression: Die eigene Dehnfähigkeit entwickelt sich in Phasen. Geduld und Kontinuität sind die Basis für Erfolg und Sicherheit.

Korrektes Dehnen vor dem Tanzen ist kein starrer Ablauf, sondern eine aufmerksame, individuelle Vorbereitung des Körpers. Dynamische Warm-ups, bewusste Atemtechnik und die systematische Berücksichtigung des eigenen Tanzstils machen den Unterschied zwischen nachhaltigem Erfolg und Verletzungsrisiko. Wer regelmäßig, achtsam und zielgerichtet dehnt, gibt seinem Körper die Chance, sich nicht nur flexibel zu zeigen, sondern Jahre gesund und kraftvoll zu tanzen – und dabei jede Bewegung mit voller Emotion und Präsenz auszukosten.

Quellen

  1. The Complete Stretching Guide for Dancers – Dance House Productions
  2. Ultimate Guide to Stretching Before Dance Class – 3D Motion Dance Center
  3. The Ultimate List of Stretches for Dancers for Flexibility – 6S
  4. Potential Effects of Dynamic Stretching on Injury Incidence
  5. Exercises for Dancers: Training & Injury Prevention
  6. The Science of Stretching: Why It Matters for Dancers and Beyond
  7. Essential Dynamic Stretching Routine for Dancers

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